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Hintergründe und Entwicklung

 

In den letzten Jahren sind Defizite in der Kommunikation der großen Parteien offensichtlich geworden. Für die Wählenden zeigt die „Einweg-Kommunikation“ fehlende Lösungsmöglichkeiten und mangelnde Handlungsfähigkeit auf, die sich auf das gesamte System übertragen haben (vgl. Gesellschaft für angewandte Linguistik, 2003, S.129). Auch in der Shellstudie von 2015 findet sich ein ähnliches Meinungsbild wieder: Der Begriff Politik ist mit „Intransparenz und Taktiererei“ gleichgesetzt (vgl. Shell, 2015, S.156).

In den letzten 25 Jahren gab es wiederholt Verbote rechtsextremer Parteien und Organisationen. Die Folgen eines Verbots kleinerer Parteien führte zu einem Sammeln der extremen Rechten in der NPD. Einzelne Splittergruppen vernetzten sich unter dem Deckmantel der Partei, um weiterhin tätig zu sein und ihre militant autonomen Strukturen tätig zu sein(vgl. Sanders, 2000) . So erlebte die NPD einen Generationswechsel und konnte einen Mitgliederzulauf verzeichnen. 1995 lag die Zahl der NPD Mitglieder bei 4000 (vgl. Angemund, Budrich, 1996, S.87), aktuell bewegt sie sich bei 5200, während sie 2006 noch ca. 7000 Mitglieder zählte (vgl. Statistica, 2016). Schon im Jahr 2000 bekannte der Vorsitzende Voigt sich zu den rechtsextremen Skinheads, die seiner Meinung nach, in der NPD eingebunden werden müssten (vgl. Sanders, 2000).

Die Stärke der demokratiefeindlichen Kräfte basiert aktuell auf ihrer guten Vernetzung, die von der Rechtsextremen bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Für Heidi Benneckenstein, eine Aussteigerin aus der rechtsradikalen Szene, stellen die Demonstrationen in Dresden keine „spontane Ansammlung besorgter Bürger“, sondern eine gewachsene Bewegung, die gezielt Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit gesät hat (vgl. Zwior, 2015, S.15). Im Netz ist ein Paralleldiskurs entstanden. Auf den rechtsgerichteten Seiten wie „Political Incorrect“ oder „der Achse des Guten“ wird der Islam „neutral“ diskutiert und unter dem Denkmantel der Meinungsfreiheit antiislamische Haltungen verstärkt. So wird ein Bild vermittelt, Deutschland unterliege einem schleichenden Genozid, da die gezielte und gesteuerte Einwanderung und die damit einhergehende biologische und kulturelle Vermischung zum Aussterben der deutschen, bzw. europäischen Kultur führen würde. Der Artikel „Das Schlachten hat begonnen“ von Bestsellerautor A.Pirinccis zeigt deutliche rassistische Merkmale, die einen aktiv / passiv Kontrast darstellen, von organisierten Muslimen gegenüber Opferdeutschen und der Verschwörungstheorie, dass Bildungseinrichtungen und Politik einen schleichenden Genozid verheimlichen würden. Gemäß A.Pirinccci müsse sich das deutsche Volk dagegen wehren (vgl. Hentges, Nottbohm, 2014, S.243ff).In den Diskussionen um die Ausbreitung rechtsradikaler und antidemokratischer Strukturen in Ostdeutschland stellt sich die Frage, warum Pegida bei einem Anteil muslimischen Mitbürgern von unter 0,5% die Ressentiments gegenüber diesem Bevölkerungsanteil hegen. An dieser Stelle dienen den Pegidisten immer wieder Horrorgeschichten aus Stadtteilen wie Duisburg Marslow als Argument, den Zuzug von Migranten verhindern zu wollen (vgl. Geiges, Marg, 2015, S.84). In wie weit die Organisierenden lediglich eine emotionale Lage, diffuse Ängste aufgreifen, die ihren Ursprung in anderen gesellschaftlichen Ursachen haben, wird öffentlich diskutiert (vgl. Hoffmann, 2016) (vgl. 6.1 / Anhang 12). Wenn das AfD Mitglied Höcke auf einer Demonstration „besorgter Bürger“ von völkischer Nation spricht, von Rasse und Blut, geht es um weit mehr als nur die Angst vor dem Fremden. Hier geht es um ein konstruiertes Gemeinschaftsgefühl, eine künstliche Identität, welche sich nun in der Mitte der Gesellschaft wiederfindet und der Mythos vom geplanten Austausch der Rassen etabliert (vgl. Lambrecht, Baars, 2015).

 

Ein anderes Klientel wird von dem 1987 gegründeten Netzwerk Blood and Honour (vgl. B&H) angesprochen. Die aus der rechtsradikalen Skinheadkultur entstandene Bewegung wurde von Ian Stuart McDonald ins Leben gerufen, der der National Front nahe stand. B&H verkörpern, damals wie heute, den Kampf junger, weißer Skinheads gegen den Kommunismus, gegen das (jüdische) System und bildeten unter dem Banner der weißen Rasse ein militantes Netzwerk (blood and honor). Die parteiunabhängigen Rechtsradikalen finden hier eine Plattform, die von freien Kameradschaften oder autonomen Nationalisten getragen wird. Diese gesamte Subkultur gehörte zu dem erweiterten Umfeld der Rechtsterroristen des NSU. (vgl. Kulturbüro Sachsen, 2015, S.7).

Ein Großteil der Szeneaktivitäten läuft über das Netzwerk Blood and Honour. Sie organisieren Konzerte, beteiligen sich aktiv an Demonstrationen und zeigen im Socialmedia deutlich ihre Radikalität, indem sie für den bewaffneten Kampf für die weiße Rasse bewerben (vgl. blood and honour). Zudem gibt es Tendenzen bei B&H, terroristische Aktionen unter dem Banner Combat 18 zu fokussieren. Das Ende der neunziger Jahre verfassten Combat 18 Field Manual ist eine Anleitung, sich im Untergrund zu verstecken, unauffällig Bombenangriffe und Attentate zu begehen ohne dabei Spuren und Hinweise zu hinterlassen (vgl. Unbekannter Autor, o. J.).

Blood and Honour hat aktuell ihre Aktivitäten auf Ostdeutschland konzentriert. Einer der Organisatoren lebt in Bauzen, veranstaltet dort seit Jahren Konzerte und Netzwerkarbeit(vgl. Spiegelbericht). Insgesamt stellt sich die Frage, ob die neusten Ausschreitungen und Radikalisierungen der Jugendlichen nicht auch durch diese Szenearbeit begünstigt wurden (vgl. Spiegel TV, 2004). Augenscheinlich handelt es sich hier nicht um eine spontane Kanalisierung, sondern um ein Problem, welches über einen langen Zeitraum nicht beachtet, beziehungsweise klein geredet wurde. Zwar ist Blood and Honour seid 2000 verboten, jedoch bestehen die Netzwerke weiter und Konzerte werden von den selben Personen initiiert. Das martialische Auftreten, die Gemeinschaft, der Glaube an den Kampf für die Nation gegen das Zionistentum, schweißt nicht nur intern das Netzwerk zusammen, sondern wirkt auch nach Außen sehr attraktiv, so dass B&H weiterhin neue Interessenten und Aktive findet.

Die Verbote zeigen kaum oder keinerlei Wirkung, da die ungeschulten Ordnungskräfte oft überfordert sind oder die Aktivitäten ins Ausland verlegt werden (vgl. Kuban, 2013,S.85). Zudem kommt eine internationale Zusammenarbeit hinzu, welche nicht nur den Zusammenhalt innerhalb der Szene stärkt, sondern auch Ressourcen für die nationale Szene bietet(vgl. ebd., S.79f). In Nachbarstaaten können Bands auftreten, und indiziertes Liedgut spielen(vgl. ebd.,). Die Besuchenden feiern diese Abende mit Hitlergrüßen, die Organisation verdient Geld am Eintritt und Cdverkauf (vgl. ebd., S. 83).

Eine weiterer Partner findet die extreme Skinheadbewegung in der NPD, die wie der Vorsitzende Pastörs offen zugibt, zu ihrem Wahlklientel gehört(vgl. Sanders, 2000). So findet die „deutsche Jugend“ immer wieder Raum in Scheunen von NPD Mitgliedern, die diese für die privaten Feiern zu Verfügung stellen. Auch wenn die Feiern öffentlich beworben, so sind die staatlichen Organe nahezu machtlos, diese zu verbieten oder zumindest einzuschränken. So ist es auch nicht verwunderlich, dass B&H Bands wie Faustrecht sich auf der berüchtigten Schulhof CD der NPD wiederfinden (vgl. Raben, 2014).

Kuban, der jahrelang in der rechtsradikalen Szene recherchierte, sieht hier ein besonderes Problem, in der Nichtdurchsetzung eines NPD Verbotes. Durch die Verbindung der Kameradschaften, Blood and Honour zu der Partei haben sie Zugriff auf Gelder und Ressourcen, die ihnen bei einem Verbot nicht zur Verfügung stehen würde (vgl. Kuban, 2012, S.129). Andererseits zeigen die Verbote, dass sich die Szene nach Verboten neu findet und und ihre Netzwerkarbeit weiter ausdehnt.

Die gemeinsamen Ziele, die gemeinsamen Feindbilder und weitgehenden gleichen Ansichten, fördern eine Vernetzung der einzelnen rechten Strömungen von Parteien, Organisationen und Netzwerken. In der Subkultur verfestigen sich Strukturen, die vor der Grenzöffnung 1989 begannen, und in den folgenden Jahren immer wieder in die Schlagzeilen gerieten, aber von vielerlei Behörden als Randerscheinung betrachtet wurden. Der Verfassungsschutz schätzte die Zahl der Rechtsextremen 2015 in Deutschland auf 22.600 Personen, wovon 11.800 als gewaltbereit und 8200 als subkulturell geprägt eingestuft werden (vgl. Verfassungsschutz, 2016). 2014 verzeichnete der Verfassungsschutz noch einen Rückgang der Rechtsextremen (ebd.). Wie diese Zahlen zu bewerten ist, erschließt sich nicht in dem Verfassungsschutzbericht. Auch nicht, wer dazu gezählt wird und wer nicht.

Die Mordserie des NSU ist weder restlos aufgedeckt noch beispiellos: Vielmehr ist sie der aktuellste Coup einer gut vernetzten rechten Terror-Guerilla. Zu Beginn der 70er Jahre gegründet, mordet sie lange weitgehend unerkannt.

So erschüttert bereits Anfang der 90er Jahre eine Serie von Bombenanschlägen auf Migranten die Stadt Köln. Getarnt als Weihnachtspaket oder im Autostaubsauger versteckt, sollen sie den Tod bringen. Die Opfer überleben, die Täter werden nie gefasst. Die Sprengstoffanschläge wirken wie eine Blaupause für den tödlichen NSU-Mord in einem iranischen Lebensmittelladen in der Kölner Probsteigasse, acht Jahre später.

Es gibt Hinweise auf enge Verbindungen der NSU-Täter zu rechtsextremen "Alt-Nazis" wie Manfred Roeder und zur westdeutschen Neonazi-Szene der 70er Jahre. Eine Bewegung, die seit jeher bestens vernetzt ist mit europäischen Gleichgesinnten und palästinensischen Terrororganisationen. In diesem Umfeld radikalisierte sich auch das Zwickauer Terror-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe.

"ZDF-History" analysiert die Geschichte des rechten Terrorismus nach 1945, zeigt die mörderische und feige Handschrift der rassistischen Killerkommandos in Deutschland und Europa und belegt, dass an den Taten des NSU nichts zufällig war.

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