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Ellen Stein

 

Geschrieben im Januar, zum ersten Mal vorgelesen Fusion 15, nun auch im Netz.

 

Morgengrauen

Ich grabe meine Zehen in den Sand, laufe über die Dünen, schmecke die salzige Luft, Möwen, Meer, endlich am Meer.

Es hatte mich alles so angekotzt.

Die graue verregnete Großstadt, die Menschen morgens. Mufflige Wesen beim Bäcker, pappige Brötchen, das schmierige Treppenhaus, der defekte Fahrstuhl, der Bus der mal wieder zu spät kommt und so ölsardinig vollgestopft ist, beschlagene Scheiben und der Mundgeruch meines Gegenübers noch dazu.

Viel zu viele Menschen auf zu engem Raum.

Auf Arbeit der langsame Kackrechner, angekackt vom Chef, alle die gleichen wenigtönigen Klamotten, Männer graue Anzüge, die Damen in pastellfarbigen bzw. unfarbigen Kostümchen, die Werbeplopauf Fenster auf der gmail Startseite, langweilige Neuigkeiten von belanglosen Stars, Nachrichten die nur von Krieg und andren negativen Ereignissen berichten, es wechseln doch eh nur dir Namen der Orte ,Aborte, die endlosen Stunden bis zur Mittagspause, Mittagsfraß, die achso weltbewegenden Probleme der Facebook und Twitter User, der eintönige fade Eintagstopf in der Kantine, wie Eintagsfliegen um den Kochtopf, das Salz mal wieder an einem der Nachbartische verschollen, das blabla bla der anderen Rumfresser, die schleimig vorbeikriechenden Stunden bis Feierabend, diese geheuchelte Freundlichkeit aus purer Höflichkeit den Andren gegenüber, der streikende Kopierer, boah die Liste könnte endlos weitergehen, kotz,

aufstehen,

kurzer verweis auf mirgehtesnichtgutundichgehfrüher

mit der sbahn nach Hause, oh diese gelangweilten Großstadt Gesichter, wie die verwahrlosten Hochhäuser spiegelten sich ihre Visagen in den Scheiben, das einzige was da noch nach außen flackerte war das blaue Schattenspiel der TVLichter…. Kurz zur Bank, kurz nach Hause, Personalausweis, Bankkarte, den Rest gibt’s unterwegs,ins Auto, zur Tanke und rauf auf die Schnellstraße, Autobahn, die Kilometer gen Süden verfliegen, ebenso der Abend und die Nacht, volltanken, mit Karte Kaffee und Diesel und Zigaretten und schuhsohlenartige Sandwichs kaufen, die Sprachen und Farben auf den Schildern wechseln, ich durchquere Bundesländer, dann Kantone, dann Regionen , durchquere Länder, überquere Grenzen. Ich werde nirgendswo kontrolliert, als wäre ich unsichtbar. Ich nähere mich stetig meinen Wunsch Koordinaten, Mittelmeer, Süd Spanien, Süd Portugal, Meer Meer

Meer, nicht das matschige Watt oder an die matte Ostsee wo man stets irgendeine Bucht sieht, ans Meer fahren fahren fahren und dieses nervige durch und durch graue Europa verlassen. Schlaf? Fahren. Abfahren, abbiegen, parken, Motor aus, aussteigen.

Endlich am Meer, Schuhe aus, Ich grabe meine Zehen in den Sand, laufe über die Dünen, schmecke die salzige Luft, Möwen, Meer, endlich am Meer. Es hatte mich alles so angekotzt. Nun war ich hier, nach 1200 km, 16 Std. fahrt, kurz laufe ich bis zu den Waden ins Wasser, gehe zurück, setze mich, schiebe Finger, Füße, Hände durch den Sand, schließe die Augen. Schmecke die salzige Luft, schaue wieder aufs Meer, das ist so schön.

Und der Horizont.

Auf dem fährt in der Ferne ein Kreuzfahrtschiff, das wär auch mal was, mit dem Schiff, rüber nach Afrika, ein Kindheitstraum, dann mit dem Allrad LKW offroad durch die Wüste.  nun zu gefährlich, oder? Nur noch Terroristen und Militärs, Erpresser u Entführer, Piraten, Wüsten Banditen. kamen ja alle rüber mit so Booten, kentern, ersaufen, gehen, unter, schaffen es, bleiben in Zäunen und Grenzen und Bürokratien hängen, wieder zurück, mit dem Flugzeug. Tod. Tod auch wenn sie hier schon ersaufen, am Mittelmeer. Untergehen im Meer. Verdursten, vertrocknen, verhungern. Verbrennen. Werden zu Fischfutter. ihre Körper werden zu Knochen, zu Steinchen zu Sand, zu Sand, ich ziehe meine Hände aus dem Sand, auch mein schöner Sandstrand durchzogen von Leichen? Leichensand.

Das ist nicht fair,

ich wollte doch nur vor der Grauheit fliehen, nicht vor Folter Hunger Mord, nur vor zu viel Arbeit, Konsumterror und tödlicher Langeweile. Mein Blick fällt auf eine angeschwemmte Schuhsohle, mir wird übel, der Burger an der Raststätte war der Zuviel? Wem wohl der Schuh mal war? Lebte der fuß noch als er ins Wasser fiel und der Fisch ihn probierte? Was treibt die Sonne schneller? Treibholz oder Herumtreibende? Mir graut. Das Grauen hat mich gepackt, zieht mich in sich rein, wie diese Ameisenlöwen, die so Krater bauen in die kleinen Tieren tappen und dann in den Sand Krater gezogen werden, wie das schöne weiße Pferd aus der Geschichte, das unendlich weit in den Schlamm sinkt, wie unendlich viele die siechend ins Meer sinken, ich springe auf, renne vor dem Grauen weg, haste über die Dünen, stolpere, auf vieren dreien wieder zweien, ins Auto, das grauen ist mit eingestiegen, klettert aus meiner Magengrube hinaus auf den Beifahrersitz. fahren fahren fahren, mich halten keine zäune grenzen und Tankstellen, das grauen aber auch nicht, ich komme an, der Morgen graut, meine graue Großstadt, mir geht es merkwürdig, ganz leer, auf der Fahrt sehe ich die Nutten am Straßenrand, die Zigeunerlager im Gebüsch, die streunenden Hunde zwischen den großen Gewächshaus Landschaften, die Müllberge an den Raststätten, am Hafen die Containerschiffe, den putzenden Krüppel an der roten Ampel, warum hat mein Grauen die Flucht bis hierher geschafft? Und das Grauen der andren Menschen noch nicht? Gedanken schossen mir auf der Fahrt durch den Kopf, was ändern, helfen, sich einsetzen, Geld spenden, nicht mehr weghören, mitmachen, genau. Und warum? Aus Nächstenliebe? Oder um meinerselbstwillen? Meines Grauens willen?

Am Montag bin ich wieder auf Arbeit, mein grauen hat eine gewisse Halbwertszeit stelle ich fest. Ich will immer noch was machen, wenn ich Zeit habe, mein Kollege will mit mir Squash spielen gehen, die hübsche brünette aus dem Büro in der zwölf hat mich eingeladen auf Kaffee und Kuchen, nächste Woche tu ich was bestimmt.

Inzwischen hab ich Enkel, wenn ich ihnen erzähle dass ich als Schulkind mal von ner Rally Paris Dakar geträumt habe schauen sie als wäre ich schon debil. Sie machen auch Urlaub, in Center Parks, und in Skandinavien, das geht noch. Die Welt entdecken`? andre Länder sehen? Warum willst du krieg erleben? Außerdem darf man da nicht raus, erklärt mir die fünfjährige, ja was denkt sich der alte Sack bloß dabei mal rauszuwollen, nach Übersee wohl noch? Vielleicht langts ja mal für die USA. Zum Glück haben wir rechtzeitig auf Elektroautos umgestellt, ganz autark vom Öl der auswärtigen Zone, sogar Bananen gibt es immer, aus den Gewächshäusern, da züchtet man auch Fleisch, ganz ohne füttern und Tiere und so, nur alles ist noch grauer. Und einmal noch den Strand sehen. Das Meer, den morgen, den Sand ohne grauen.

 

Ellen Stein

 

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